artikel_start
Junge Welt - 20.04.2002
Inland
Kontinuitäten
Wie setzt man sich mit dem Genozid als Teil der eigenen Geschichte auseinander? Zwei Fallbeispiele
 

Im Februar 2001 informierte das Deutsche Historische Museum (DHM) den Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre e.V., Köln, über das Projekt seiner Holocaust-Ausstellung und schrieb, daß es dabei auch um die Frage geht, »wie man sich nach 1945 mit dem Holocaust als Teil der eigenen Geschichte auseinandergesetzt hat«. Generaldirektor Dr. Hans Ottomeyer schrieb, daß in der Ausstellung »auch auf die Rolle des IG-Farben-Konzerns im Zweiten Weltkrieg sowie auf das Problem der Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter/innen« eingegangen werde.

In einem zweiten Schreiben vom August 2001, diesmal an den Geschäftsführer der Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG), erbat das DHM Hinweise auf »verschiedene biographische Kontinuitäten« nach 1945, auf die die Ausstellung Bezug nehmen wolle, und Material über die Lebensläufe einiger wichtiger Mitglieder der IG Farben, wie Carl Krauch, Fritz ter Meer, Heinrich Bütefisch oder Otto Ambros. Als die Ausstellung »Holocaust.

Der Nationalsozialismus und die Motive seiner Erinnerung« dann im Januar im Kronprinzenpalais in Berlin eröffnet wurde, fehlten jedoch die geplanten Vorhaben. Lediglich in einem aus neun Exponaten bestehenden Kapitel unter dem Namen »Biographische Kontinuitäten« erschien das Konterfei von Heinrich Bütefisch mit dem Dokument der Rücknahme der Ordensverleihung vom 14. April 1964 (5/103).

Als Grund für die Peinlichkeit, daß Bundespräsident Heinrich Lübke Bütefisch auffordern mußte, das Verdienstkreuz wieder zurückzugeben, wurde zwar mit Recht der öffentliche Protest genannt, jedoch der Zusammenhang ausgeblendet. Mit seiner Zeugenaussage im Frankfurter Auschwitz-Prozeß 1964 wurden die Verbrechen der IG Farben in der Öffentlichkeit bekannt. Daß Bütefisch SS-Obersturmbannführer, Wehrwirtschaftsführer und Mitglied des »Freundeskreises Reichsführer SS« war, hatte das Deutsche Historische Museum als Kenntnis der Besucher vorausgesetzt.

Die weiteren vorgesehenen IG-Herren wurden erst gar nicht einbezogen. Carl Krauch, der nach Göring und Speer der mächtigste Vertreter der Rüstungswirtschaft war, Fritz ter Meer, ein Verwandter des damaligen CDU-Schatzmeisters Leisler-Kiep und Otto Ambros, der sich der sehr segensreichen »neuen Freundschaft mit der SS« brüstete, schienen dem Deutschen Historischen Museum nicht geeignet, in die Ausstellung aufgenommen zu werden.

Die Unabhängige Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg befaßt sich dagegen in ihrer Veröffentlichung »Tarnung, Transfer, Transit. Die Schweiz als Drehscheibe verdeckter deutscher Operationen (1939-1952)« eingehend mit dem Verbleib der im US-Nachfolgeprozeß Fall VI gegen IG Farben verurteilten und frühzeitig entlassenen ehemaligen IG-Direktoren Dr. Heinrich Bütefisch und Otto Ambros. Und beschönigt nichts.

Obwohl in der Schweiz »wegen krimineller Geschehen von Auschwitz« als »verurteilte Kriegsverbrecher« bekannt, konnten die beiden Herren die Schweiz in den fünfziger Jahren ohne weiteres aufsuchen. Bütefisch, einst Vorstandsmitglied der IG Farben, pflegte enge Verbindungen zum Leiter der Holzverzuckerungs AG (Hovag), Werner Oswald. Er übernahm Beraterdienste für die Hovag neben seiner Tätigkeit als Aufsichtsratsvorsitzender der Kohle-Öl-Chemie GmbH, Gelsenkirchen.

Als einer der Hauptverantwortlichen für die Verbrechen des IG-Konzerns in Auschwitz-Monowitz gilt das Vorstandsmitglied Otto Ambros. Im Januar 1956 reichte er ein Gesuch beim Schweizer Konsulat in Stuttgart für eine Übersiedlung in den Kanton Tessin ein, um dort nach seiner Pensionierung ab 1960 seinen ständigen Wohnsitz zu nehmen.

Obwohl die Eidgenössische Fremdenpolizei dieses Gesuch ablehnte, gewährte ihm die Tessiner Fremdenpolizei 1959 das Aufenthaltsrecht zum Zwecke von Kur und Erholung. 1961 - Ambros lebte bereits zwei Jahre im Tessin - gelangte die Angelegenheit zwar vor die Bundesbehörden, doch ohne Konsequenzen.

Erst als 1964 beim Frankfurter Auschwitz-Prozeß vom DDR-Nebenkläger Prof. Friedrich Karl Kaul befragte Zeugen Ambros als modernen Sklavenhalter bezeichneten, der »die Leute schlimmer behandelte als die SS«, entschied der Bundesrat, der Mann ist »in der Schweiz politisch-polizeilich untragbar«. Damit erledigte sich der Fall für die Schweizer Behörden. Ambros selbst lebte da schon das sechste Jahr in der Schweiz und blieb auch weiterhin unbehelligt.

Janis Schmelzer

HOME
IMPRESSUM