Museum der Wahnsinnigen Schönheit

Brief an die Universität Heidelberg:

 

Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V.

Seine Magnifizenz
Herrn Professor Dr. Jürgen Siebke
Rektor der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 
Hauptstr. 231
69117 Heidelberg

Bielefeld, den 15.1.1998

 

Magnifizenz, sehr geehrter Herr Prof. Siebke!

im Auftrag des Vorstands des Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V. möchte ich begründen, warum wir Sie hiermit auffordern möchten, die Sammlung von künstlerischen Werken von Psychiatrisierten vor 1933, bekannt unter dem Namen "Prinzhom-Sammlung" und in Verwahrung der Universitäts-Psychiatrie Heidelberg, in unseren Besitz zu übertragen.

Wir bitten Sie, dem anliegenden Rechtsgutachten von Prof. Dr. Peter Raue, einem der renommiertesten Juristen in Urheberrechtsfragen, zu folgen.

Wie Sie der ebenfalls anliegenden "Stellungnahme - Prinzhorn-Sammlung" von Frau Petra Storch entnehmen können, lagen der Sammlung biologistische Annahmen über Menschen, die zu Recht oder Unrecht in die Psychiatrie gebracht wurden, zu Grunde, auf die das Wort Rassismus zutreffen dürfte:
"Nun soll die psychiatrische Haltung, welche Prinzhorn den Patienten gegenüber einnimmt, näher betrachtet werden. Diese ist geprägt von kühler Distanz des Beobachters zu seinem Objekt, welches nicht als Mensch interessant ist, sondern als Träger eines forschungsrelevanten psychopathologischen Syndroms".

Dieser biologistische Ansatz hat seine Vollendung in den Taten des Nachfolgers von Herrn Professor Wilmann, Herrn Professor Carl Schneider gefunden, unter dessen Leitung die Psychiatrie Heidelberg zu einem Motor der "Euthanasie" werden konnte. Diese führende Rolle der Heidelberger Universitäts-Psychiatrie für das Morden in den Psychiatrien läßt sich aus den beiliegenden, historisch eindeutig belegten Ausführungen ersehen. (Siehe Beiblatt)

Eine der Grundregeln der zivilisierten Menschheit ist, daß ein Mörder niemals Eigentum am Eigentum seines Opfers erlangen darf.

Systematischer Massenmord, Genozid, verjährt nicht so einfach.

Die weitere Verfügung der Exponate durch die Heidelberger Universitäts-Psychiatrie bedeutet nicht nur eine Verhöhnung der Künstler dieser Sammlung und der Opfer der "Euthanasie", sondern auch eine fortgesetzte Kränkung der heutigen Psychiatrie-Erfahrenen, denen es ein unerträglicher Gedanke ist, daß am früheren Tatort, der Heidelberger Neurologie, in der die Gehirnsammlung von Professor Carl Schneider eingerichtet war, mit sogenannten "schönen Idioten", die Prinzhorn-Sammlung ihren ständigen Platz finden soll. "Viele schöne Idioten haben wir in der elsässischen Anstalt von Hirt in Straßburg festgestellt. Verlegungsanträge werden folgen", teilt der Heidelberger Psychiatrie-Professor CARL SCHNEIDER am 19.10. 1942 seinem Freund Professor PAUL NITSCHE, Leiter der Tötungsanstalt "Sonnenstein" bei Pirna, mit." S.398, Ernst Klee: "Euthanasie im NS-Staat."

Deshalb fordern wir die Herausgabe der Werke der Prinzhorn-Sammlung an uns, um sie in eine Gedenkstätte in der Tiergartenstr. 4 in Berlin einzubringen, die von Psychiatrie-Erfahrenen geleitet werden soll. Diese Gedenkstätte wird vom "Bund der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangsterilisierten e.V." unterstützt, wie Sie der in Kopie beiliegenden Delegation von Frau Dorothea Buck durch die Vorsitzende des Bundes, Frau Klara Nowak, entnehmen können.
 

Mit freundlichen Grüßen

gez. Brigitte Siebrasse
(Mitglied des geschäftsführenden Vorstands des BPE)



Anlagen: Rechtsgutachten von Prof. Dr. Peter Raue
Stellungnahme - Prinzhorn Sammlung von Frau Petra Storch
Delegation des Bund der "Euthanasie"-Geschädigten und 
Zwangssterilisierten
   
Kopie an: Klaus von Trotha, Minister für Wisenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden - Württemberg
RA und Notar Prof. Dr. Peter Raue, Berlin

Textbelege über die führende Rolle der Heidelberger Universitäts- Psychiatrie für das Morden an Psychiatrisierten während der NS-Zeit
 

Hierzu zitieren wir Henry Friedlander, "Der Weg in den NS-Genozid":

Im ersten Kapitel untersuche ich die ideologischen Voraussetzungen des Genozids und versuche zu zeigen, wie die Überzeugung von der Ungleichheit der Menschen Theorien über die sog. Minderwertigkeit, Entartung und Kriminalität der Behinderten und der Angehörigen anderer Rassen hervorbrachte. Der Antisemitismus war ein Aspekt dieser Ungleichheitsideologie
Seite 13, 14

Ich hatte nicht die Absicht, über die deutsche Medizin zu schreiben; ich wollte die Verbrechen des NS-Regimes begreifen. Etwa Mitte der Achtziger Jahre hatte mein Quellenstudium mich zu der Überzeugung gebracht, daß zwischen dem Euthanasieprogramm und dem Genozid des NS-Regimes ein enger Zusammenhang bestand; mir war klargeworden, daß die Ideologie, der Entscheidungsprozeß, das Personal und die Tötungstechnik die Euthanasie mit der »Endlösung« verbanden. Die Opfer wurden wegen ihrer Erbanlagen verfolgt. So konnte ich nicht umhin, den NS Genozid - der heute in der Regel Holocaust genannt wird - als Massenmord an Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer biologisch determinierten Gruppe zu definieren. 
Seite 11

Die Biologie besiegelte auch das Schicksal der Behinderten, die ihre Lage genausowenig zu ändern vermochten wie Juden und Zigeuner. Behinderte Kinder in Kliniken wurden ebenso getötet wie alte Männer und Frauen in sog. Siechenheimen. Ich erkannte, daß das NS-Regime nur drei Gruppen von Menschen systematisch ermordete: die Behinderten, die Juden und die Zigeuner.
Seite 12

Die in der „Euthanasie" ermordeten Menschen wurden auch nicht deshalb getötet, um Klinikbetten zu räumen oder Kosten zu sparen; der Beweggrund der Mörder war vielmehr die ideologische Zwangsvorstellung von einem rassisch homogenen und gesunden Volk. Behinderte sollten aus dem nationalen Erbgut ausgeschlossen werden. 
Seite 10

Paul Nitsches Bemerkungen zur Rolle der Psychiatrie, die auch auf die Anthropologie und die Genetik zu übertragen wären, machen die Teilnahme der Wissenschaftler vollkommen deutlich: »Der Fernstehende konnte in der Regel nicht erkennen, welche [sic] grundlegenden Verdienst gerade die Psychiatrie hat, insofern ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse die Gefahr der Entartung in ihrem ganzen Ernste enthüllt und ein richtiges Verständnis für diese Gefahr und für die notwendigen 
Gegenmaßnahmen erweckt, damit aber wirksame Gegenmaßnahmen überhaupt erst ermöglicht hat.«
Seite 212

Als die radikale Lösung der Euthanasie an die Stelle der langsameren Methode der Massensterilsation trat, war die Wissenschaft bereit, dieses Programm zu leiten und von ihm zu profitieren. Von Anfang an waren Forscher an den Morden beteiligt. Wie wir gesehen haben, leiteten dienstältere Psychiater die Medizinische Abteilung von T4 und wirkten als Gutachter bei der Beurteilung behinderter Patienten.
Seite 215

Zu Beginn des Euthanasieprogramms beschlossen Wissenschaftler, die mit T4 zusammenarbeiteten, die Forschung solle sich die Möglichkeiten zunutze machen, die das Mordprojekt eröffnete. Zwei Forschungsinstitute taten sich bei der wissenschaftlichen Auswertung der Euthanasiemorde besonders hervor: die Psychiatrisch Neurologische Klinik der Universität Heidelberg unter Professor Carl Schneider und die Beobachtungs- und Forschungsabteilung bei der Landesanstalt Brandenburg-Görden unter Leitung von Hans Heinze. 
...
Die größte Nachfrage bestand nach Gehirnen. Julius Hallervorden (beliefert von Görden)...sowie Professor Carl Schneider, der an seiner Heidelberger Klinik anspruchsvolle Forschungsprojekte in Gang setzte, taten sich bei dieser letzten Schändung der Opfer am meisten hervor.
Seite 216 ff

Ein noch ehrgeizigeres Projekt, bei dem Euthanasieopfer das Ziel einer fragwürdigen medizinischen Forschung waren, startete Carl Schneider von der Psychiatrisch-Neurologischen Klinik der Universität Heidelberg. Schneider galt als der bedeutendste Forscher von T4 und seine Klinik als das führende Forschungsinstitut, das mit dem Euthanasie-Mordprogramm in Verbindung stand. Insofern beeinflußte Schneider auch die Entwicklungen in Görden. 
Seite 219

Mit Forschungsmitteln von T4 und vom RMdI errichtete Schneider außerdem Sonderstationen, in denen man die Opfer beobachten und untersuchen konnte. Zusätzlich zu seinem Oberarzt Konrad Zucker sicherte er sich die zeitweiligen Dienste der Doktoren Deussen, Rauch, Schmieder, Schmorl, Suckow und Wendt. 
Eine weitere Forschungsabteilung wurde in der Anstalt Eichberg eingerichtet, in der sich bereits eine Kindermordstation befand. Im Mai 1942 führten Verhandlungen zu der Abmachung, daß Eichberg je eine Station für Männer und Frauen errichten solle, in denen man sie »beobachten, untersuchen und behandeln« werde. 
Besonders wichtig war, daß Eichberg zu Forschungszwecken Gehirne nach Heidelberg liefern konnte. Der Reichsausschuß ließ Kinder aus verschiedenen

Anstalten, selbst aus so weit entfernten wie Hamburg-Langenhorn, in die Anstalt Eichberg bringen. Dort wurden sie beobachtet, getötet und seziert, und anschließend schickte man ihre Hirne nach Heidelberg. Selbst nach der Schließung der Forschungsabteilung in Wiesloch blieb jene in Eichberg bestehen, obwohl auch die dortigen Bedingungen keineswegs zufriedenstellend waren. In jedem Fall setzte Schneider seine Forschungstätigkeit in der Heidelberger Klinik fort.... Ende 1942 forderte er von T4 dringend eine Liste der »Idiotenanstalten« an, in denen sich entsprechende Patienten befanden. Im Sommer I943 drängte er Nitsche, jeden Monat zehn bis zwölf »Idioten« nach Heidelberg zu verlegen. Wann immer er unterwegs war, hielt Schneider nach geeigneten Forschungsobjekten Ausschau. Nach einer Reise teilte er Nitsche mit: »Viele >schöne< Idioten haben wir in der elsässischen Anstalt von Hirt in Straßburg festgestellt. Verlegungsanträge werden folgen
Seite 220 ff

Wir haben wieder und wieder die Verbindung zwischen den Mordaktionen gegen Behinderte, Juden und Zigeuner gesehen. Die Interpretationen dieser drei Aktionen haben sich über die Jahre verändert. Im Dritten Reich führte der Mord an den Behinderten zu öffentlicher Opposition, während die Ermordung der Juden und der Zigeuner nichts dergleichen hervorrief. Seit dem Krieg hat sich das öffentliche Interesse aber auf die Ermordung der Juden konzentriert, während die der Behinderten und der Zigeuner bis vor kurzem wenig Aufmerksamkeit erfahren hat. Man kann jedoch keine dieser Mordaktionen ohne Bezug auf die anderen erklären. Zusammen stellten sie den nationalsozialistischen Genozid dar.
Die Verbindung zwischen den drei Mordaktionen war, wie wir gesehen haben, eine ideologische: der Glaube an die menschliche Ungleichheit und die Entschlossenheit zur Reinigung des Erbguts des deutschen Volkes.
Seite 466

(Hervorhebungen von uns)

Brief an Dr. Naumann

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